Diakonie Haltestelle Kreuzberg - eine Geschichte im Advent.

Weihnachtsfeier Diakonie Haltestelle Kreuzberg
© DPV | 2024

Auf der Weihnachtsfeier der Diakonie Haltestelle in Berlin Kreuzberg gab es viele besinnlichen Momente. Eine vorgelesene Geschichte berührte alle sehr. Sie stammt aus der Feder von Hans-Jürgen Liebmann. Er ist ehrenamtlich tätig und beschenkte an diesem Nachmittag die Gemeinschaft mit seiner wundervollen Weihnachtsgeschichte. Lesen Sie selbst. 

Wir Danke ihm und allen ehrenamtlich Tätigen der Diakonie Haltestellen. Sie sind eine Bereicherung für die Diakonie und leben Nächstenliebe!

 

Das schönste Geschenk 
geschrieben von Hans-Jürgen Liebmann

Der Heilige Abend fiel auf einen Wochentag und Annes Eltern mussten selbst an diesem Tag wieder länger arbeiten. So sitzt Anne, traurig sinnend, am Fenster ihres Spielzimmers und beobachtet eher unbeteiligt als interessiert die herabfallenden Schneeflocken. Es ist ihr in den Sinn gekommen, wie sie damals im Sommer ein Mädchen auf der Treppe vor dem Hause beim Spielen beobachtete. Am Stadtrand war’s! – Ob sie sie wiederfinden würde? Das Mädchen, etwa ihr Alter, ließ eine einfache Schlenker-Puppe aus Stoff ein bloßes Holzscheit umarmen, immer und immer wieder. Anne hatte das tief beeindruckt; aber es blieb ihr leider verborgen, was das fremde Mädchen spielte. – Ob sie es wiedersehen könnte? Gern würde sie ihm eine Weihnachtsfreude bereiten! Denn dass es arm war, daran konnte sich Anne sehr wohl erinnern. Entschlossen reißt Anne die Schranktüre ihres Spielzeugschrankes weit auf. Alle Püppchen, die Puppen, Teddys und Plüschtiere bilden bald einen bunten Spielsachenhaufen auf dem großen runden Teppich. Nur den Felix, einen Puppenjungen, den drückt sie fest an sich. Sie herzt und küsst ihn. Und schließlich legt sie ihn zögerlich besonders sanft in den Schrank zurück. Ihre schönste Puppe aber, die große brünette mit den blauen Augen, die packt sie in einen Karton. „Vielleicht ist das arme Mädchen auch immer allein“, überlegt Anne. „Ob es sich über meinen Besuch freuen würde?“ Ich werde jetzt zu ihm gehen, auch wenn es länger dauern sollte, bevor ich es gefunden habe. Ich möchte ihm eine Freude bereiten.“

Gar etliche Straßen muss Anne laufen und sie muss ziemlich lange suchen, um das Haus wiederzufinden, dem man ansieht, dass in ihm die Armut wohnt. Sie klopft an die Haustüre und eine blasse hagere Frau erscheint auf der Treppe. Als diese Anne erblickt, ruft sie aus: „Ja Kindchen! - Mit offenem, Mantel, bei dieser Kälte! – Zu wem möchtest du denn?!“ Anne verspürte keine Kälte; ganz im Gegenteil, es geht Wärme aus von dieser Frau. Kurz entschlossen antwortet sie: „Zu ihrer Tochter!“ „Nun, so komm’ herein und wärm dich auf, Christin sitzt in der Küche. Wir sind beim Vesper; auch für dich ist noch ein Stück Stolle da.“ Während Anne in dem kleinen dunklen Flur ihren Mantel an den einzigen dort vorhandenen Haken hängt, erklärt sie Christins Mutter, dass sie Anne heiße und im Karton ein Geschenk für ihre Tochter mitgebracht habe. „Das ist aber ganz lieb von dir, Anne, dass du zu uns als Christkindel kommst. Woher kennst du Christin?“ 


„Vom Spielen“, sagt Anne und blickt dabei verlegen zu Boden; denn sie hat ja mit diesem Mädchen noch kein einziges Wörtchen gesprochen. Aber nun weiß sie wenigstens den Namen jener Person, über deren seltsames Spielen sie damals so
rätselte. Lächelnd betritt Anne die Küche, und ein Lächeln strahlt ihr von Christin zurück. Wenn die Herzen sprechen, bedarf es keiner Worte! Anne stell ihren Karton neben die arg, zerschlissene Stoffpuppe auf den Tisch von Christin. Fast schüchtern sagt sie zu ihr: „Für dich – von mir, nicht vom Weihnachtsmann!“ Ach war die Freude in dem kleinen Mädchen groß, als es die Puppe aus dem Karton hob. Immer und immer wieder fragte Christin: „Und ich darf nicht nur heute mit ihr spielen; ich darf sie wirklich behalten?“ „Aber ja Christin, ich schenke sie dir sehr gern!“, erklärt Anne gegenüber dem armen Mädchen sehr glücklich, als sie erkennt, welche große Freude sie ihm damit bereitet. Dann begibt sich Anne schweigend zum Küchenherd und entnimmt der offenstehenden Ofenröhre eines der langen Holzscheite, die darin zum Trocknen aufbewahrt sind. Mit der noch freien Hand erfasst sie schließlich Christins doch inzwischen sehr in Mitleidenschaft gezogenen Stoffpuppe und lässt diese mit ihren Schlenker-Armen das Holzscheit umfassen. Dann fordert sie das Mädchen auf: „Bitte, Christin, verrate mir dieses Spiel! Ich sah im Sommer zu, wie du es spieltest.“ Christin schaut errötend ihre Mutter an, und diese fordert sie behutsam auf: „Nun sag es schon Anne, was das Hölzchen dir bedeutet.“ Christin erklärt: „Damit spiele ich Mann und Frau, wie sie sich lieben.“


„Aber das ist doch nur ein Stück Holz und kein Mann!“, ruft Anne. „Wenn meine Stoffpuppe das Holz umschlungen hält, stelle ich mir immer meinen Papa vor, Anne, und wie Mama ihn umarmt.“ Nun erklärt Christins Mutter Anne, dass sie nach dem frühen Tode ihres Mannes völlig verarmt sei und Christin auch gern wieder einen Vater hätte. Nur sei es schwierig, den rechten zu finden. Anne überlegt einige Augenblicke. Dann ruft sie: „Ich hab’s!“ Wortlos verlässt Anne ihre Gastgeber und stürmt nach Hause. Völlig außer Atem kommt sie nach einer ganzen Weile endlich zurück und wendet sich an Christin: „Nimm meinen Felix als Trost noch dazu. Wenn er vielleicht auch nicht so aussieht, wie dein Papps, so hast du noch wenigstens einen richtigen zum Spielen!“ Sie überreicht Christin auf dem Korridor die Puppe, streicht ihr über das Haar und erklärt traurig: „Ich habe meinen Papi noch und auch meine Mami; aber ich bin dennoch immer allein.“ Stumm verlässt Christin den dunklen Flur. Sie geht zur Küche, holt die Schlenker-Puppe und drückt sie Anne in die Hand. „Lass sie deine Freundin sein“, sagt sie, „du wirst sehen, was man allein mit einem Stückchen Holz und mit ihr alles spielen kann! Anne, du bist so lieb, willst du meine feste Freundin werden?“ Anne nickt bejahend; dann sagt sie: „Nun muss ich aber wieder nach Hause gehen. Kommst du mich einmal besuchen?“ Fragend blickt Christin ihre Mutter an und diese antwortet statt der Tochter: „Ich werde dich jetzt nach Hause begleiten, Anne, damit ich Christin erklären kann, wo du wohnst. Deine Eltern werden dich sicherlich auch schon vermissen. Wir müssen eine Entschuldigung finden, nicht wahr?“ „Glaube ich nicht“, entgegnete das Mädchen resigniert. 

Als Anne endlich bei ihren Eltern eintraf, konnten jene inzwischen voller Sorge über den Verbleib ihres Kindes keine Freude mehr an den zahlreich aufgebauten Geschenken für die Tochter haben. Anne aber eilte mit einem Gesicht voller Sonnenschein, den Geschenke – Tisch der Eltern für sie in der Wohnstube völlig ignorierend, in die Wohnung hinein und rief, während sie mit ausgestreckten Armen auf ihre Mutter zulief: „Mami, Mami, heute habe ich das schönste Geschenk erhalten, das man sich nur denken kann!“ Dabei hielt sie diese zerschlissene Schlenker-Puppe in die Höhe und dann erklärte sie mit leuchtenden Augen: „Endlich habe ich auch eine Freundin zum Spielen. Nun bin ich nicht mehr allein!“ „Aber Kind, wir haben dir doch so schöne Geschenke auf deinen Gabentisch gelegt?“ Und da Annes Eltern gar zu hilflos auf ihre Tochter mit jener Schlenker-Puppe schauten, rührte dies Christins Mutter. Sie bemühte sich, Annas Vater und Mutter wegen deren mangelnden Verständnis mit den Worten zu trösten: „Vielleicht wird Annes Sehnsucht nach mehr elterlicher Zuwendung nun doch bald ein Märchen werden. Das wäre wohl das schönste Geschenk von ihren Eltern für sie. Meinen Sie nicht auch, dass sich so etwas zeitlich organisieren lässt?“

Berlin, den 04.12.2024

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